Alte Meister. Komödie (1985)
Das karge Geschehen des Textes vollzieht sich im Wiener Kunsthistorischen Museum. Der Privatgelehrte Atzbacher beobachtet dort eine Stunde lang den Musikphilosophen Reger und gibt dessen Denken und Monologe aus der Erinnerung wieder, ehe er mit ihm, der ihn zum Zweck eines Theaterbesuchs (Kleists Zerbrochener Krug im Burgtheater) herbestellt hat, ins durchaus monologisch angelegte „Gespräch“ eintritt.
Reger ist einer der zahlreichen mit ihrem Herkunftsland verfeindeten außergewöhnlichen schöpferischen Menschen in Bernhards Werk. Nach einer als schreckliche Leidenszeit erlebten Jugend hat er sich in die Kunst geflüchtet. Dabei ist sein Umgang mit ihren Erzeugnissen durchaus ambivalent: überaus scharf kritisiert er die Bereitschaft vieler Künstler, sich an die Vorgaben von Staat und Kirche anzupassen, und im Rahmen seitenlanger Scheltreden attackiert er insbesondere Adalbert Stifter, Anton Bruckner und Martin Heidegger, mit denen er sich freilich zugleich als verwandt deklariert.
Im Kunsthistorischen Museum befindet sich allerdings auch Tintorettos „Weißbärtiger Mann“, vor dem Reger stundenlang meditiert; genau in der Mitte des Buches steht die seltsame Begegnung mit einem Engländer, der bei sich zu Hause ebenfalls eine Version dieses Bildes hat. Und im Museum hat Reger nicht zuletzt seine Frau kennen gelernt, die vor Kurzem hochbetagt (wie 1984 auch Bernhards Lebensgefährtin Hedwig Stavianicek, an die das Buch erinnert) verstorben ist.
Der dritte Roman der „Künstler- oder auch Künste-Trilogie“ wurde mit dem scheinbar paradoxen, doch für Bernhard äußerst stimmigen Begriffs der „Kunstvernichtungskunst“ charakterisiert, geht es doch nicht mehr wie in Der Untergeher undHolzfällen primär um das Scheitern an der Kunst, sondern um das der Kunst selbst. Um dieses Scheitern nachzuzeichen, unterzieht Reger jedes Kunstprodukt einem unnachgiebigen „Zerlegungs- und Zersetzungsmechanismus“, bis er einen „gravierenden Fehler“ gefunden hat.
Dies kann einerseits als Mittel eines spezifischen Überlebensprogramms gedeutet werden, das die Bedrohung des betrachtenden Subjekts durch die Konfrontation mit allzu übermächtiger Perfektion abwehren soll. Andererseits wird die Kunst von ihrem musealen Podest gestoßen, wodurch sie – zur „Karikatur“ geworden – im positiven Sinn „angreifbar“ wird. Der an und für sich unproduktive Akt der Kunst-Bewunderung weicht der unempathischen Analyse, die den von Reger für die „Times“ verfassten „kritischen Kunststücken“ entspricht.
Der Tod von Regers Frau, der ihn vorübergehend in eine bedrohliche Krise gestürzt hat, bedeutet für Reger gleichzeitig eine endgültige Relativierung der Bedeutung von Kunst und Philosophie, die diesen „einzigen geliebten Menschen“ nicht zu ersetzen vermögen.
M.M., U.B.