Beton (1982)

Wie bereits in früheren Texten, z. B. in Verstörung und Das Kalkwerk, beschreibt Bernhard auch in Beton die Beziehung zwischen einem Mann – in diesem Fall dem Schriftsteller Rudolf – und einer ihm nahestehenden Frau, hier dessen Schwester. Rudolf wohnt in einem Haus, das in vielem an den Ohlsdorfer Bauernhof des Autors erinnert, auch seine enge Beziehung zum Großvater lässt an das Vorbild Bernhard/Freumbichler denken.

Rudolf arbeitet an einer Studie über Mendelssohn Bartholdy. Für seine offensichtliche Schreibhemmung macht er zunächst seine eben abgereiste Schwester verantwortlich. Doch bald muss er sich eingestehen, dass sie ihn keineswegs, wie er ihr anfangs unterstellt, hinterlistig überfallen hat, um seine Arbeit zu stören – er selbst hat sie zu Hilfe gerufen. Ihr legt Bernhard kritische Äußerungen in den Mund, die man nicht nur auf Rudolf, sondern auch auf den Autor selbst beziehen kann: Er schließe sich von allen Menschen ab und bezichtige „alle aller Verbrechen“. Wie in diesem Buch setzt sich Bernhard auch in den folgenden Prosabänden wiederholt selbstironisch mit Zügen auseinander, die man mit seiner eigenen Person verbindet – mit seiner Tendenz zur Menschenfeindlichkeit, mit seinem Image als pessimistisch-depressiver Autor bzw. mit Stil und Motivation seiner aggressiven Schreibweise.

Am Ende des Romans reist Rudolf nach Palma de Mallorca und erfährt dort von der Lebensgeschichte der Anna Härdtl; Bernhard verarbeitet hier das Schicksal eines deutschen Ehepaars, von dem er selbst bei einem Aufenthalt in Palma gehört hat. In Beton wird erzählt, wie die Frau ihren Ehemann zu einer Laufbahn als Geschäftsmann veranlasst, weil sie die Vorstellung, selbständig zu sein, fasziniert; er scheitert aber an diesem Anspruch und stirbt durch einen Sturz vom Balkon – auf den im Titel genannten Beton; aus demselben Material ist dann auch seine Begräbnisstätte gefertigt. Seine Frau begeht später ebenfalls Selbstmord. „Tatsächlich richten wir uns an einem noch unglücklicheren Menschen sofort auf“, konstatiert zuletzt der Erzähler.

Auf das Modell des vergeblich um eine Studie bemühten Rudolf, dessen Geschichte doch gleichzeitig einen literarischen Text ergibt, weist Elfriede Jelinek in ihrem Kurzdrama Das Schweigen (2000) hin: „Die Schrift. Sie entsteht, indem sie nie entsteht, indem aber unaufhörlich von ihr die Rede ist.“

M.M.