Frost (1963)
Ein Medizinstudent bekommt von einem Chirurgen namens Strauch den Auftrag, dessen Bruder, den an Körper und Geist erkrankten Kunstmaler Strauch, zu beobachten. Dieser Maler hat sich in das düstere Gebirgsdorf Weng zurückgezogen, wo er kaum mehr Kontakt zu anderen Menschen pflegt. Der Famulant hält die von Tod und Kälte geprägten Monologe und Visionen Strauchs, die ihn immer stärker beeinflussen, in Tagebucheintragungen über 26 Tage lang fest, bis er sich schließlich selbst, ganz und gar überwältigt, aus dem Mund des Malers sprechend denkt. Am Ende des Romans – der Famulus ist nach Schwarzach ins Krankenhaus zurückgekehrt – steht die lakonische Mitteilung, dass der Maler in Weng abgängig sei.
Frost ist Thomas Bernhards erster Roman, ihm gelang damit auch gleich der literarische Durchbruch. In diesem Text kann man viel von der Bildlichkeit seiner Lyrik wiederfinden: Tod, Kälte, Finsternis, das bohrende Ausschreiten einer erstarrten Sprach- und Gedankenwelt. Bernhard entwickelt hier das erzähltechnische Grundmodell für sein folgendes Prosawerk: Ein kaum konturierter Ich-Erzähler fungiert als Übertragungsmedium für die endlosen Monologe eines dominanten Protagonisten, dessen Perspektive den Text im Wesentlichen bestimmt. Auch das Persönlichkeitsprofil Strauchs ist für viele spätere Hauptfiguren prägend. Auffällig ist das Gefühl permanenter Bedrohung, wobei zum einen die feindliche „Masse“ der anderen Menschen, zum anderen der Bereich des Körperlichen, insbesondere „die Frauen“ bzw. das Weibliche als Projektionsfelder seiner Ängste auftreten.
Die „Krankheit der Auflösung“, die an Strauch diagnostiziert wird, reagiert nicht nur auf eine verhängnisvolle individuelle Entwicklung (etwa die für Bernhards Protagonisten charakteristische schreckliche Kindheit und Jugend), sondern auch auf historisch-gesellschaftliche Vorgänge. Die moderne Technisierung (verkörpert durch eine Zellulosefabrik und einen riesigen Kraftwerksbau) und die Auswirkungen des Weltkriegs auf die Menschen haben zum Zerfall aller traditionellen Orientierungsrahmen geführt. Die Folgen einer auf Natur- und Menschenbeherrschung gegründeten Rationalität zeigen sich jedoch auch in mehreren surrealen Träumen Strauchs, in denen die zwanghafte Verselbständigung des lebensfeindlichen Geistes bebildert wird.
Die kalte, menschenfeindliche Landschaft von Weng ist aber nicht zuletzt als polemisches Gegenbild zu den idyllischen Provinzdarstellungen der herkömmlichen Heimatliteratur markiert: als Objektivierung einer grundsätzlich als böse wahrgenommenen „Natur“, in der Strauch zuletzt buchstäblich verloren geht.
M.M., U.B.