Die Kälte. Eine Isolation (1981)
Der vierte Band Die Kälte beginnt mit der Groteskversion eines für Bernhards Werk charakteristischen Vorgangs: der mühevollen Integration eines sich von allem ausgeschlossen fühlenden Einzelnen in eine Menschengruppe, in diesem Fall als tuberkulosekranker Patient der Lungenheilstätte Grafenhof. Das Leben wird dort von Bernhard als Strafvollzug, der Berg, das Heukareck als Schicksalswand aufgefasst, als unüberbrückbare Felswand.
Trotz des katastrophal erlebten Sterbens der Mutter gelingt ihm die Loslösung von der Gesellschaft der Sterbenden. Einer, der Bernhard hierbei beigestanden haben mag, ist der ebenso an Tuberkulose erkrankte Mozarteumsabsolvent und Kapellmeister Rudolf Brändle. Der begabte Musiker wird im Sanatorium zum Gesprächspartner, Freund und Lebensretter; seine Erinnerungen mit dem Titel Zeugenfreundschaft sind das vielleicht berührendste Erinnerungsbuch eines Zeitgenossen Bernhards. Die Entlassung des Erzählers aus der Heilanstalt wird zuletzt seiner alles erfassenden Allmachtsphantasie eingegliedert: Er habe sämtliche Behandlungsvorgänge bestimmt und damit die Verfügung über sein Schicksal endgültig in die Hand genommen.
Ganz im Sinne des Novalis-Mottos „Jede Krankheit kann man eine Seelenkrankheit nennen“ eröffnet Bernhard seine „höhere Mathematik der Krankheit und des Todes“. In Die Kälte erfolgt von der erinnerten Vergangenheit aus aber auch erstmals ein weiterer Rückgriff in die frühen Kinderjahre: Die Frage nach seiner Herkunft und die seines Charakters beschäftigt den Kranken. Vor allem beginnt er die Suche nach dem unbekannten Vater; im folgenden Band Ein Kind wird er die „Ursachenforschung“ in der frühesten Kindheit fortsetzen.
M.M., U.B.