Der Keller. Eine Entziehung (1976)
Mit dem Schulabbruch, dem immer wieder beschworenen Weg „in die entgegengesetzte Richtung“, vollzieht sich zu Beginn von Der Keller die radikale Abkehr von jenem Lebensbereich, den der Erzähler als Inbegriff des ihm „in allem Entgegengesetzten“ gesehen hat. In der Scherzhauserfeldsiedlung erringt der kaufmännische Lehrling unter Menschen, die er von der bürgerlichen Gesellschaft ebenso ausgestoßen weiß wie sich selbst, eine neue, sinnerfüllte Existenzform der Freiheit.
Nach der „philosophischen“ Schule der Großvaters, des Lehrers im „Alleinunterricht“, folgt nun beim Lebensmittelhändler Podlaha, der den Heranwachsenden im Zusammensein mit den Menschen unterweist, die Schule der absoluten „Realität“. Dazu kommt, als ideale Ergänzung, der regelmäßige Gesangsunterricht; erneut fungiert die Musik (wie auch später angesichts der Bedrohung durch Krankheit und Tod) als Überlebensmittel.
Der Keller ist in allen wesentlichen Aspekten die Fortsetzung von Die Ursache. Authenzität und Stilisierung, Exposition und Fiktion sind auch hier wieder auf die für Bernhard typische Weise miteinander verschränkt. Auf den Punkt bringt der autobiographische, noch intensiver als im ersten Band reflektierende Erzähler diese Eigenart in folgendem Satz: „Hätte ich, was alles zusammen heute meine Existenz ist, nicht tatsächlich durchgemacht, ich hätte es wahrscheinlich für mich erfunden und wäre zu demselben Ergebnis gekommen.“
In einer den Band abschließenden Selbstdarstellung stellt sich das Ich grundsätzlich als theatralisches dar, das immer aus einer wahren und einer gespielten Existenz besteht – eine Balance, die es am Leben erhalten habe. Im erinnernden Schreiben, wenn die Welt auf den „Guckkasten des eigenen Kopfes“ zusammengeschrumpft ist, sieht der Erzähler das vergangene Leben als Theater, als „eine in die Hunderttausende von Figuren vernarrte Bühne“. „Jede dieser Figuren bin ich, alle diese Requisiten bin ich, der Direktor bin ich.“
M.M., U.B.