Der Atem. Eine Entscheidung (1978)
Aufgrund der schwerwiegenden Folgen einer verschleppten Erkältung wird der Lehrling Thomas Bernhard mit einer nassen Rippenfellentzündung ins Salzburger Landeskrankenhaus eingeliefert, nur kurz nach dem geliebten Großvater. Erst im Sterbezimmer findet er von Neuem die verloren geglaubte Widerstandskraft – gegen die Gleichgültigkeit seiner Umwelt. Ausdrücklich stellt er den Sieg über den Tod als Ergebnis individueller Selbstermächtigung dar. Der nicht zuletzt als Befreiung erlebte Tod des Großvaters vermittelt dem noch immer rekonvaleszenten Enkel einen zusätzlichen Existenzantrieb. Doch zur gleichen Zeit, da ihn die inzwischen zur engsten Bezugsperson gewordene Mutter von ihrer tödlichen Krebserkrankung unterrichtet, erfährt auch er von einer neuerlichen schweren Lungenerkrankung, die ihn abermals an den Rand des Selbstverlusts bringt.
Tod, Elend und Krankheit – das Motto von Pascal läutet eine Steigerung der Leitthematik in Bernhards autobiographischem Schaffen ein. Der Ich-Erzähler sieht sich gezwungen, noch rücksichts- und erbarmungsloser über seine Jugend zu berichten, exakt zu notieren, “was im Kopf des Jünglings vorgegangen ist, der er damals gewesen ist”. Die erlebten Katastrophen werden daher in einer Plastizität wiedergegeben, die in diesem Text einen Höhepunkt in Bernhards Werk erreicht.
Während der Rekonvaleszenz im Großgmainer Hotel Vötterl helfen dem jungen Bernhard ausgedehnte Spaziergänge und vor allem die Literatur „über den Berg“. Seine Bibliothek im Krankenzimmer besteht aus Hamsun, Dostojewski, Goethe etc. Die intensive Beschäftigung mit diesen Büchern überbrückt seine destruktiven Stimmungen. Seine Geburt als Schriftsteller fällt nicht zufällig mit dem Tod des Großvaters und Schriftstellers Freumbichler zusammen: „Die Entdeckung, daß die Literatur die mathematische Lösung des Lebens und in jedem Augenblick auch der eigenen Existenz bewirken kann“, habe er „erst nach dem Tode des Großvaters machen können“, merkt der Erzähler an, „diesen Gedanken und diese Erkenntnis verdankte ich seinem Tod.“
M.M., U.B.