AN RAIMUND FELLINGER DENKEN

I

(c) Stephanie Tyszak

 

Stephanie Tyszaks schöne Idee, an seinem ersten Todestag gemeinsam mit ihr zum Grab unseres früheren Präsidenten zu gehen, muss vorerst leider eine schöne Idee bleiben. Die aktuelle Corona-Lage lässt einen solchen Besuch mit mehreren Personen (noch) nicht zu.

Was hätte RF zu dieser Situation gesagt, in dieser Situation gemacht? Vielleicht hätte er eine Zoom-Konferenz angestoßen, in der wir mit Blick auf die gegenwärtige Pandemie über zwei authentische Bernhard-Sätze diskutieren: „Die Natur wird die Menschheit verdauen!“ und: „Es gibt keine Natur mehr!“ (mit herzlichem Dank an unseren Ehrenpräsidenten Dr. Peter Fabjan für deren Mitteilung und Erläuterung per E-Mail, 16. und 31. März 2020).

 

II

An Raimund Fellinger denken bedeutet für mich zunächst auch: mit Nina Selzer seine sämtlichen Äußerungen – gedruckte und ungedruckte – über Thomas Bernhard zu sammeln, um sie in einem Buch verfügbar zu machen.

Aber wann hat das eigentlich alles angefangen? In seiner privaten Bibliothek steht eine Erstausgabe des „Kalkwerk“ (Viertes bis sechstes Tausend 1970) mit – für den späteren RF ganz untypischen – zahlreichen Bleistiftunterstreichungen und Randnotizen. War im Jahr seines Abiturs am Aufbaugymnasium Saarlouis dieser Roman seine früheste Bernhard-Lektüre? Nicht nur darüber wüssten wir gerne mehr.

 

III

Die Existenz eines Widmungsexemplars der „Auslöschung“ ist zwar bereits seit dem inzwischen fast schon legendären Interview mit dem Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ 2016 bekannt, nicht aber ihr genauer Wortlaut:

„Für Raimund Fellinger, meinen geliebten Fehler-Entdecker, von Thomas Bernhard / 26. März 87“ / (c) Stephanie Tyszak

Der 26. März 1987 war ein denkwürdiger Tag im Leben von Thomas Bernhard wie in der persönlichen Beziehung zwischen dem Autor und seinem Lektor. Auf der Durchreise von Lissabon nach Wien machten an jenem Donnerstag akute physische Beschwerden Bernhards einen Zwischenstopp in Frankfurt nötig. „Er kam am Nachmittag […] an und hatte immer nur einen Ausdruck: Ich bin glücklich, ich bin der Hölle entronnen. Vier Stunden ‚behandelten‘ Burgel Zeeh [Unselds Sekretärin], Raimund Fellinger und ich den Mann, der ja wirklich schwer krank war. Er war einerseits reizend, aber enorm geschwächt und sah wirklich nicht gesund aus. Ich brachte ihn noch an das Flugzeug. In Salzburg nahm sein Bruder ihn in Empfang und brachte ihn in eine Klinik, wo er einige Tage zubringen musste.“ (Siegfried Unseld: „Chronik 1987“, zit. nach: Thomas Bernhard/Siegfried Unseld: Der Briefwechsel. Herausgegeben von Raimund Fellinger, Martin Huber und Julia Ketterer. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2011, S. 774). Bernhards Widmung lässt die „sehr starke Gefühlsbewegung“ erkennen, „die ich in Frankfurt gehabt habe unter den Fürsorgeschwingen des Verlegers und seiner Getreuen“ (Bernhard an Unseld, 18. Mai 1987; a.a.O., S. 773).

 

IV

Wie können wir alle in (und durchaus auch außerhalb) der ITBG zusammen an der Fortsetzung von Projekten arbeiten, die der große, großartige Anreger und Ideengeber RF begonnen hat? Das gilt vor allem für die von ihm geplante „Thomas Bernhard Enzyklopädie“ zu Leben, Werk, Wirkung und Deutung. Wie wäre ein solches kollektives Nachschlage- und Grundlagenwerk zu realisieren, auf das sich künftige Biographien ebenso wie Ausstellungen zu Bernhards 100. Geburtstag stützen werden?

Fragen über Fragen. Bernhards „Fehler-Entdecker“ fehlt an allen Ecken und Enden.

                                                                                                                                                                                                                                                                                      Reinhard Pabst

(c) Sepp Dreissinger

 

 

0 Antworten

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Wollen Sie an der Diskussion teilnehmen?
Wir freuen uns über Ihren Beitrag!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.