Neu auf DVD: „Der Bauer zu Nathal. Kein Film über Thomas Bernhard.“

In Thomas Bernhards Heimatgemeinde Ohlsdorf bei Gmunden ist Österreichs bekanntester Schriftsteller des 20. Jahrhunderts allgegenwärtig, und trotzdem nur eine Fußnote. Wie die Landgemeinde mit diesem überlebensgroßen literarischen Erbe umgeht (oder eben nicht), zeigt dieser Film. „Der Bauer zu Nathal“ offenbart einen Blick hinter die Kulissen der Bernhardschen Lebensbühne, hinein in die Seele einer Gegend, die den Geistesmenschen Bernhard so inspirierte. Inkl. über 50 Minuten bisher unveröffentlichtes Bonusmaterial, u.a. mit Josef Fürtbauer, Josef Windischbauer, Nicholas Ofczarek und Karl Ignaz Hennetmair. Dokumentarfilm, Ö 2018. Regie: David Baldinger und Matthias GreulingLaufzeit: 90 Min., FarbeUT: DE/EN

Bestellbar für 19.90€ unter david.baldinger@orf.at

Hier geht es zum Trailer.

 

Wittgensteins Neffe online

Im Folgenden wird eine Aussendung der ÖAW wiedergegeben:

 

Wie ein Buch von Thomas Bernhard entstanden ist
Zum ersten Mal erscheint ein Text von Thomas Bernhard zusammen mit sämtlichen Entstehungsstufen: Nach der Digitalisierung von Bernhards Nachlass (2015–­2018) legt das „Austrian Center for Digital Humanities and Cutural Heritage“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit freundlicher Zustimmung von Thomas Bernhards Erben, Dr. Peter Fabjan, nun eine Online-Ausgabe von „Wittgensteins Neffe“ (1982) vor. Außer dem Text und einem Stellenkommentar enthält sie auch die hinterlassenen Fassungen, vor allem zwei von Bernhard getippte und handschriftlich korrigierte Textversionen. Neben der Wiedergabe der Originale finden sich Transkriptionen, die Bernhards Streichungen, Korrekturen und Einfügungen akribisch dokumentieren. Auf diese Weise wird es erstmals möglich, Bernhards Schreibarbeit an einem ganzen Werk im Einzelnen nachzuvollziehen. Die vom Team „Austrian Corpora and Editions“ erarbeitete Edition erlaubt eine Volltextsuche und eine Recherche mittels verschiedener Register: https://wn.ace.oeaw.ac.at/

Lajos Adamik gewinnt den Österreichischen Staatspreis für literarische Übersetzung.

Lajos Adamik, Übersetzer und langjähriges Mitglied der ITBG, hat den diesjährigen Österreichischen Staatspreis für literarische Übersetzung zuerkannt bekommen. Adamik übersetzte u.a. Werke von Thomas Bernhard, Stefan Zweig, Peter Handke und Ingeborg Bachmann ins Ungarische.
Zu diesem Anlass möchten wir einen Auszug aus seinem Artikel Der unbeirrbare Drang, vom längsten Satz bis zum kürzesten möglichst kunstvoll zu scheitern. wiedergeben, welcher in Ein übersetztes Buch ist wie eine Leiche. Übersetzter antworten Thomas Bernhard. erschienen ist:

Unweigerlich jedoch geht eine wichtige Schicht der Bernhardschen Prosa im Ungarischen verloren, da in diesem die indirekte Rede grammatikalisch nicht markiert wird. Nirgendwo ein „sei“, nirgendwo ein „habe“; und auch wenn die indirekte Rede kein allein bei Bernhard anzutreffendes Stilmittel ist, spielt sie beim Aufbau der erzählerischen Situationen als geeignete Form zum Ausdruck feiner, oft ironischer Distanzierungen immer wieder eine wichtige Rolle. Im Ungarischen hingegen, da hier die indirekte Rede stets im schlichten Indikativ steht und da in ihm in einfachen Aussagesätzen in der dritten Person Singular selbst der konjugierte Teil „ist“ fehlt („Mein Vater ist Arzt“ – apám orvos), muss der Übersetzer von Fall zu Fall entscheiden, ob die erzählerische Situation eindeutig genug aus dem Kontext hervorgeht oder ob er den Hinweis auf den Sprecher durch das Hinzufügen einer Wendung wie „er sagte“ noch einmal präzisiert. Während des Übersetzens von Verstörung hat mich dieses Manko des Ungarischen so stark gestört, ich habe es als einen so schweren Verlust gegenüber dem Original empfunden, dass ich mir eine Weile ernsthaft überlegte, ob man die entsprechenden Stellen nicht wenigstens typographisch, mit einer zweiten Schriftfarbe, kennzeichnen könnte. Ich bin dann mit dieser Idee nicht einmal bis zum ungarischen Lektor vorgedrungen, geschweige denn, dass ich Suhrkamp mit solchen Wahnsinnseinfällen heimsuchte.

Luigi Reitani: Ein Nachruf von Petra Hardt

Ich bin tief erschüttert. Da geht der gute, hochintelligente und unermüdliche Reitani trotz Impfung an den Folgen der Erkrankung an diesem unberechenbaren Virus. Das ist sehr traurig.

Die Beziehungen zwischen Italien und Österreich, zwischen Italien und Deutschland wären ohne Professor Reitanis Wirken ärmer. Der Suhrkamp Verlag hat gerade in den Jahren, als Luigi Reitani Leiter des Istituto Italiano in Berlin war, eng mit ihm zusammengearbeitet.

Er hat uns mit Ferrante und anderen italienischen Autoren und Autorinnen unterstützt und natürlich als Germanist unsere deutschsprachigen Autoren gelesen und übersetzt. Er konnte Wissenschaft, Institution und Handel. Sein Engagement für Thomas Bernhard haben Sie, lieber Herr Dr. Fabjan, in Ihrem sehr schönen Nachruf bereits gewürdigt.

Wir trauern um Luigi und gedenken seiner in Dankbarkeit.
Seiner Frau und den beiden Töchtern gilt unser tiefstes Mitgefühl.

Petra Hardt

Prof. Luigi Reitani

Ein Nachruf

Der anerkannte Germanist, Übersetzer von Hölderlin, Bernhard u. a., Kulturbeauftragter in Udine, zwischen 2015 und 2019 Leiter des italienischen Kulturinstitutes in Berlin, Mitglied der Vereinigung Freies deutsches Hochstift in Frankfurt, Träger des Mondellopreises für Übersetzung, Familienvater zweier (aus Indien) adoptierter Töchter, ist Opfer der aktuellen Jahrhundertseuche geworden.Mein erster Kontakt mit ihm in Wien hat noch der Idee, der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft in jeder europäischen Großstadt eine eigene Vertretung zu schaffen, gegolten, er ihr darauf dort in Udine mit der Gründung einer eigenen Institution entsprochen.Sein Tod reiht sich in die lange Liste uns, der Stiftung und der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft, als führende Mitglieder inzwischen verlorengegangener Personen. Ein großer Verlust!Seiner Witwe und den beiden Töchtern gilt unsere Anteilnahme.Peter Fabjan

Zum Tode von Franz Josef Altenburg

Franz Josef Altenburg, Spross der Familie Habsburg und Urenkel Kaiser Franz Josef I ist am 18. dieses Monats verstorben. Zu seiner Familie, ansässig in der Ortschaft Breitenschützing nahe Schwanenstadt/OÖ, hatte Bernhard besonderen Kontakt. Mit großer Regelmäßigkeit ist er hingekommen und bewirtet worden. Das Wachsen der Familie hat er mit viel Anteilnahme verfolgt, die Kinder besonders geliebt, die keramischen Arbeiten Franz Josefs respektvoll betrachtet.
Mit ihm verlieren wir einen eigenständigen Künstler.

Anny und Peter Fabjan

ITBG-Vorstandsmitglied Dr. Juliane Werner erhält UNIVIE Teaching Award 2020

Die feierliche Preisverleihung des UNIVIE Teaching Award fand am 14. Juli 2021 an der Universität Wien mit Rektor Heinz W. Engl und Vizerektorin Christa Schnabl statt.
Mit dem Preisgeld in Höhe von 3000 Euro wird Juliane Werner an der Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Wien im Sommersemester 2022 ein Studierendenprojekt zu Thomas Bernhard starten, im Zuge dessen es auch eine Kooperation mit der ITBG geben wird.

Zum Tode von Dr. José António Palma Caetano

Herr Palma Caetano, Portugiese und Bernhardübersetzer, Träger des Österreichischen Staatspreises für Übersetzung sowie langjähriges Mitglied der ITBG  ist verstorben. Er, selber Lyriker, hat neben Bernhard, Peter Handke, Doderer und Hoffmannsthal in sein Land gebracht und ist uns über die Jahre mit seiner noch vor ihm verstorbenen Frau ein besonders liebenswertes kultiviertes Ehepaar als Freunde gewesen. Beide waren uns in Lissabon aus Anlass eines von ihm organisierten Symposiums zu Ehren von Bernhard geduldige Gastgeber.

Anny und Peter Fabjan

In Erinnerung an Horst Matrong, 17. Mai 1941 – 21. Dezember 2017

Uns ist er, Matrong, als der Fellinger stets zur Seite gestandene Mann in Erinnerung, wenn es um die Unterstützung von Projekten gegangen ist, die ihm wichtig waren. So auch bei der Gründung des Korrekturverlages. Mehrmals haben wir ihn auch in Nathal begrüssen können.
Ein kulturinteressierter Mäzen ohne jede Selbstgefälligkeit!!

Anny und Peter Fabjan

 

 

 

Horst Matrong war ein Mensch, der anderen die Bühne bereitete.  Als Mäzen hat er Schauspieler und Schauspielerinnen unterstützt, mit seiner Theaterstiftung Kleinkunstbühnen im Ruhrgebiet und Weimar gefördert und neue Produktionen im In-und Ausland, bevorzugt zu Thomas Bernhards Stücken, möglich gemacht. Er selbst blieb dabei bescheiden im Hintergrund, wenngleich er mit seinem Haarzopf und seiner Kappe, die er in der Öffentlichkeit nie ablegte, signifikant war.

Zu Premieren verschenkte er großzügig Karten,  und wenn sie in Berlin stattfanden, lud er nach der Aufführung den ganzen Freundeskreis in sein Stammlokal „Manzini“ ein, wo er nie etwas bestellen musste –  der Wirt und sein Team wussten, was sie Horst Matrong bringen dürften.

Horst Matrong war ein treues und aktives Mitglied der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft und Gesellschafter beim Korrektur Verlag. Er schätzte die Gespräche mit Dr. Fabjan. Eine enge Verbindung pflegte er zu den Theaterhäusern in Zürich und Wien, ein Fan von Robert Hunger-Bühler, Claus Peymann und Hermann Beil. Ein Spätberufener, der zunächst aus Respekt den Weg, der ihm von seinen Großeltern und Eltern im Holzhandel und Möbelgeschäft in dritter Generation vorgezeichnet war, beschritten hatte. Umso beherzter konnte er sich ab dem 50. Lebensjahr nach abgeschlossenem Studium der Theaterwissenschaft ganz der Kultur und seinem Lieblingsautor Thomas Bernhard widmen. Alle, die Horst Matrong, ein Independant, ein gütiger Vater, ein wertvoller Freund, persönlich kannten, werden sich an seinem 80. Geburtstag gerne und dankbar an ihn erinnern.

 Petra Hardt

 

AN RAIMUND FELLINGER DENKEN

I

(c) Stephanie Tyszak

 

Stephanie Tyszaks schöne Idee, an seinem ersten Todestag gemeinsam mit ihr zum Grab unseres früheren Präsidenten zu gehen, muss vorerst leider eine schöne Idee bleiben. Die aktuelle Corona-Lage lässt einen solchen Besuch mit mehreren Personen (noch) nicht zu.

Was hätte RF zu dieser Situation gesagt, in dieser Situation gemacht? Vielleicht hätte er eine Zoom-Konferenz angestoßen, in der wir mit Blick auf die gegenwärtige Pandemie über zwei authentische Bernhard-Sätze diskutieren: „Die Natur wird die Menschheit verdauen!“ und: „Es gibt keine Natur mehr!“ (mit herzlichem Dank an unseren Ehrenpräsidenten Dr. Peter Fabjan für deren Mitteilung und Erläuterung per E-Mail, 16. und 31. März 2020).

 

II

An Raimund Fellinger denken bedeutet für mich zunächst auch: mit Nina Selzer seine sämtlichen Äußerungen – gedruckte und ungedruckte – über Thomas Bernhard zu sammeln, um sie in einem Buch verfügbar zu machen.

Aber wann hat das eigentlich alles angefangen? In seiner privaten Bibliothek steht eine Erstausgabe des „Kalkwerk“ (Viertes bis sechstes Tausend 1970) mit – für den späteren RF ganz untypischen – zahlreichen Bleistiftunterstreichungen und Randnotizen. War im Jahr seines Abiturs am Aufbaugymnasium Saarlouis dieser Roman seine früheste Bernhard-Lektüre? Nicht nur darüber wüssten wir gerne mehr.

 

III

Die Existenz eines Widmungsexemplars der „Auslöschung“ ist zwar bereits seit dem inzwischen fast schon legendären Interview mit dem Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ 2016 bekannt, nicht aber ihr genauer Wortlaut:

„Für Raimund Fellinger, meinen geliebten Fehler-Entdecker, von Thomas Bernhard / 26. März 87“ / (c) Stephanie Tyszak

Der 26. März 1987 war ein denkwürdiger Tag im Leben von Thomas Bernhard wie in der persönlichen Beziehung zwischen dem Autor und seinem Lektor. Auf der Durchreise von Lissabon nach Wien machten an jenem Donnerstag akute physische Beschwerden Bernhards einen Zwischenstopp in Frankfurt nötig. „Er kam am Nachmittag […] an und hatte immer nur einen Ausdruck: Ich bin glücklich, ich bin der Hölle entronnen. Vier Stunden ‚behandelten‘ Burgel Zeeh [Unselds Sekretärin], Raimund Fellinger und ich den Mann, der ja wirklich schwer krank war. Er war einerseits reizend, aber enorm geschwächt und sah wirklich nicht gesund aus. Ich brachte ihn noch an das Flugzeug. In Salzburg nahm sein Bruder ihn in Empfang und brachte ihn in eine Klinik, wo er einige Tage zubringen musste.“ (Siegfried Unseld: „Chronik 1987“, zit. nach: Thomas Bernhard/Siegfried Unseld: Der Briefwechsel. Herausgegeben von Raimund Fellinger, Martin Huber und Julia Ketterer. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2011, S. 774). Bernhards Widmung lässt die „sehr starke Gefühlsbewegung“ erkennen, „die ich in Frankfurt gehabt habe unter den Fürsorgeschwingen des Verlegers und seiner Getreuen“ (Bernhard an Unseld, 18. Mai 1987; a.a.O., S. 773).

 

IV

Wie können wir alle in (und durchaus auch außerhalb) der ITBG zusammen an der Fortsetzung von Projekten arbeiten, die der große, großartige Anreger und Ideengeber RF begonnen hat? Das gilt vor allem für die von ihm geplante „Thomas Bernhard Enzyklopädie“ zu Leben, Werk, Wirkung und Deutung. Wie wäre ein solches kollektives Nachschlage- und Grundlagenwerk zu realisieren, auf das sich künftige Biographien ebenso wie Ausstellungen zu Bernhards 100. Geburtstag stützen werden?

Fragen über Fragen. Bernhards „Fehler-Entdecker“ fehlt an allen Ecken und Enden.

                                                                                                                                                                                                                                                                                      Reinhard Pabst

(c) Sepp Dreissinger