Ingeborg Bachmann

Seit einigen Jahren erscheinen Bücher von Thomas Bernhard, nicht als das Resultat des Vielschreibens, sondern offenbar aus einem Grund höchster und gespanntester Produktivität. (…)

Daß jemand im Abstand (zu) der zeitgenössischen Literatur schreibt und ihn vergrößert durch die Einsamkeit, … ist allein ein Grund, um nichts Rechtes damit anfangen (zu) wissen. Wohin gehört  er, was will er, wo bleiben die Bezüge (wozu?), in welches Gespräch mischt sich dieser Monolog, also in keines, was hat er zu sagen und wem? Und die Gesellschaft, die Leser, das Publikum, die Fronten, die Erfordernisse, der Nutzen?

Wenn die Fragen verstummen, worin denn die Modernität liege, das Neue, dann heißt das zweifellos, daß es äußerlich nicht ablesbar ist, kein Buchexperiment, nicht kalligraphische Mutproben, sondern eine Radikalität, die im Denken liegt und bis zum Äußersten (geht). Wie sehr diese Bücher die Zeit zeigen, was sie gar nicht beabsichtigen, wird eine spätre erkennen, wie die spätre Zeit Kafka begriffen hat. In diesen Büchern ist alles genau, von der schlimmsten Genauigkeit, wir kennen nur die Sache noch nicht, die hier so genau beschrieben wird, also uns selber nicht. (…) Das Müssen, die Notwendigkeit, das Unausweichliche stempelt alle Bücher von Bernhard, angefangen vielleicht mit Amras, in dem die Unruhe noch stärker ist als die Beherrschung dieser Unruhe, die gläserne Ruhe im Umgang mit einer zerbröckelnden Welt. (…) Ich bin überzeugt, daß die letzte Prosa von Bernhard über die Becketts weit hinausgeht, ihr unendlich überlegen ist, durch das Zwingende, das Unausweichliche und die Härte.

(Aus Thomas Bernhard: Ein Versuch, 1969)