Louis Begley

Für mich ist es eines der faszinierenden Phänomene in der westlichen Literatur des 20. Jahrhunderts, dass eine Gruppe von Schriftstellern – unabhängig voneinander, ohne gemeinsame Nationalität, Herkunft oder Lebenserfahrung – Meisterwerke schuf, die an Luzidität und Lesefreundlichkeit der Tradition realistischer Romane in nichts nachstehen. Gleichzeitig und geradeheraus  gesagt, sind sie auch noch wahre Wunderwerke an genialer, ahnungsvoller Verrücktheit. Zu diesen Schriftstellern zähle ich Thomas Bernhard und, in annähernd chronologischer Ordnung, Kafka – mit seinen Erzählungen „Forschungen eines Hundes„, „Der Bau“, „Josephine, die Sängerin oder das Volk der Mäuse“„Ein Bericht für eine Akademie“. Auch Gombrowicz und Céline zähle ich zu diesen Autoren. … Ungezügelte Phantasie und Realismus, schwarzer Humor und eine unsentimentale Zartheit finden sich auch in Kafkas, Gombrowicz‘ und Célines Trickkiste; mit diesen Mitteln werden wir Leser in ein verstehendes, seltsam vertrauensvolles Verhältnis  eingebunden, obgleich wir hier a priori sehr wohl mit Abneigung und Skepsis reagieren könnten.

Ich erwähnte bereits, dass Bernhards intellektuelle Brillanz den Leser sofort in ihren Bann zieht. … Am Ende aber machen weder Intellekt, noch Humor, noch ein scharfes Auge allein den großen Romancier aus. Noch etwas muss dazu kommen: die Fähigkeit, eine Geschichte so zu erzählen, dass sie den Leser packt und nicht mehr loslässt, und diese Eigenschaft ist unlöslich mit der Sprache des Erzählers verbunden. Thomas Bernhard hat eine blendende erzählerische Erfindungsgabe; sie erlahmt nie, obgleich der Gesamtumfang seiner Romane und Erzählungen so beträchtlich ist. Und doch könnte man diese Geschichten – unglaublich, zwanghaft, verwickelt, durchsetzt mit abstrusen Theorien, wie sie sind – nicht aushalten, die Monologe nicht ertragen, wäre da nicht Bernhards Stimme mit ihrer grandiosen Verve!

(Aus Zu meinem Glück, Süddeutsche Zeitung, 7./8. Februar 2004)