Hedwig Stavianicek

© Fotoarchiv Thomas Bernhard

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In seiner autobiographischen Erzählung Wittgensteins Neffe macht Thomas Bernhard 1982 sein Publikum mit dem wichtigsten Menschen seiner zweiten Lebenshälfte bekannt, mit der jahrzehntelangen Gefährtin und Vertrauten Hedwig Stavianicek: »Ich hatte ja meinen Lebensmenschen, den nach dem Tod meines Großvaters entscheidenden für mich in Wien, meine Lebensfreundin, der ich nicht nur viel, sondern, offen gesagt, seit dem Augenblick, in welchem sie vor über dreißig Jahren an meiner Seite aufgetaucht ist, mehr oder weniger alles verdanke«.

Hedwig Hofbauer wird am 18. Oktober 1894 als Kind einer Wiener Großbürgerfamilie geboren; die Eltern sind als Unternehmer tätig, v.a. im Fischhandel. Durch sie erhält Thomas Bernhard also nach dem ländlichen Herkunftsraum der eigenen Familie Zugang zu einem weiteren Hauptschauplatz seiner Literatur; seine späten Arbeiten (die Romane Holzfällen und Alte Meister, aber auch die Stücke Ritter, Dene, Voss sowie Elisabeth II.und Heldenplatz) spielen meist in dieser sozialen Umgebung.

Nach einer kurzen, später annullierten ersten Ehe heiratet Hedwig Hofbauer 1933 den Arzt und hohen Ministerialbeamten Dr. Franz Stavianicek. 1944 muss sie erstmals die Lungenheilanstalt Grafenhof in St. Veit/Pongau aufsuchen, im selben Jahr verstirbt ihr Ehemann. 1950 begegnet sie in St. Veit Thomas Bernhard, dessen sängerische Fähigkeiten sie faszinieren. Ab 1953 ist ein regelmäßiger Kontakt zwischen den beiden belegt; Stavianicek fördert zunächst Bernhards Gesangsausbildung, erkennt jedoch bald, dass ihr junger Freund eine Karriere als Schriftsteller anstrebt.

1955 unternehmen die beiden eine erste gemeinsame Auslandsreise nach Lovran (Kroatien), zahlreiche weitere Reisen vor allem in den mediterranen Süden werden folgen: Opatija und Lovran sind die bevorzugten Urlaubsziele, aber auch italienische Städte wie Venedig, Triest, Rom und Neapel werden aufgesucht. Vor allem in Jugoslawien wird später ein beträchtlicher Teil von Bernhards literarischer Arbeit stattfinden.

1957 bezieht Stavianicek eine Dreizimmerwohnung in Wien-Döbling (Obkirchergasse), in der Bernhard von nun an bei seinen Wien-Aufenthalten zu Gast ist. Zunächst unterstützt sie den erst ab Mitte der 1960er Jahre erfolgreichen Autor finanziell und auf geistiger Ebene, mit zunehmendem Alter ist es Bernhard, der ihr zur Seite steht und die Hochbetagte zuletzt trotz eigener Krankheit pflegt. Am 28. April 1984 stirbt Hedwig Stavianicek im Krankenhaus auf der Baumgartner Höhe. Sie wird auf dem Grinzinger Friedhof im Grab ihres Mannes beigesetzt, in das ihr Thomas Bernhard fünf Jahre später folgen wird.

Der letzte von ihm fertig gestellte Roman Alte Meister (1985) lässt sich als Requiem für seinen „Lebensmenschen“ lesen. Angesichts des Verlusts eines geliebten Lebenspartners wird darin die Bedeutung aller großen Schöpfungen aus Kunst und Philosophie relativiert: sie »ersetzen keinen Menschen«.

M.M.

Lebensdaten

  • 1913

    Aufenthalt in Cambridge.

  • 1916/17

    Freiwillige Hilfspflegerin im Kriegsspital Wien-Grinzing.

  • 1933

    Heirat mit dem Arzt Dr. Franz Stavianicek.

  • 1944

    Aufenthalt in der Lungenheilanstalt Grafenhof, St.Veit/Pongau,
    Franz Stavianicek stirbt in Wien.

  • 1950

    Begegnung mit Thomas Bernhard in St.Veit.

  • 1955

    Erste gemeinsame Auslandsreise nach Kroatien.

  • 1957

    Hedwig Stavianicek bezieht eine Wohnung in Wien, in welche sie den jungen Thomas Bernhard aufnimmt.

    Thomas Bernhard und Hedwig Stavianicek erleben in den folgenden Jahren alle Höhen und Tiefen eines österreichischen Dichterlebens gemeinsam: Ehrungen, Premieren, zahlreiche Reisen. Sie ist Bernhards Lebensmittelpunkt, sein Leben wird für nahezu dreißig Jahre auch zu dem ihren.

  • 1982

    Weihnachten letzte gemeinsame Reise zum Semmering.

  • 1984

    Hedwig Stavianicek stirbt im Krankenhaus Baumgartner Höhe in Wien.
    Sie wird auf dem Grinzinger Friedhof im Grab ihres Mannes beigesetzt, in das ihr Thomas Bernhard fünf Jahre später folgen wird.

»Sie war für mich das Zurückhaltende, das Disziplinierende. Andererseits auch das Weltaufmachende.«

»Das war zuerst eine Freundschaft und eine ganz starke Bindung an einen viel älteren Menschen. Wo ich auch immer war in der Welt, war das der zentrale Punkt, aus dem ich eigentlich alles genommen habe. Ich wußte immer, dieser Mensch ist vollkommen für mich da, wenn es schwierig wird.«

(Thomas Bernhard im Gespräch mit Asta Scheib, 1986)