In memoriam Claus Peymann

Hofer  Und warum in Stuttgart und nicht in Wien?
Bernhard  Ja, dort ist der Claus Peymann, mit dem ich das immer am liebsten mach’,
der versteht mich, da braucht man nicht viel reden, das funktioniert dann.
(»Das Ganze ist im Grunde ein Spass«. Interview von Brigitte Hofer)

 

Am 16. Juli 2025 verstarb Claus Peymann im Alter von 88 Jahren in Berlin-Köpenick. Die Internationale Thomas Bernhard Gesellschaft trauert um einen Giganten des Theaters, dessen herausforderndes und unermüdliches Engagement für die Kunst in knapp sechs Jahrzehnten als Regisseur unvergessen bleibt. Neben richtungsweisenden Inszenierungen zeitgenössischer Autorinnen und Autoren wie Peter Handke, Elfriede Jelinek, George Tabori und Peter Turrini hat er das Bühnenschaffen Thomas Bernhards mit fünfzehn Uraufführungen wie kein Zweiter geprägt.

Seine erste Begegnung mit dem Schriftsteller begann für Peymann vor den verschlossenen Hoftoren Nathals und endete in der Kantine der Papierfabrik in Steyrermühl, »die hat die ganze Nacht auf, und da haben wir dann bis zum Morgengrauen uns irgendwie, soweit man das damals konnte, angefreundet.« Nach der erfolgreichen Premiere von Bernhards erstem abendfüllenden Theaterstück Ein Fest für Boris 1970 in Hamburg konstatiert der Autor in einem Brief an seinen Verleger: »Dass Peymann ein ganz aussergewöhnlich guter Mann für mein Stück ist, war mir von allem Anfang klar und es brauchte dadurch zwischen ihm und mir nicht viel Worte« (W15: 461). In der FAZ erinnert sich Christiane Schneider, langjährige Mitarbeiterin Peymanns und ehemalige Vize-Präsidentin der ITBG, an ihre Rolle in Bernhards Dramolett anlässlich von Peymanns Wechsel an das Wiener Burgtheater 1986: »Ich glaube, kaum einer hat Peymann so gut verstanden und erkannt wie Bernhard, in all seinem positiven Wahnsinn, seiner unbändigen Kraft, seinem Temperament«.

Bis 27.7. zeigt der ORF – neben einer Dokumentation zum ›Heldenplatz-Skandal‹ – die Aufnahmen der Uraufführung von Heldenplatz, der letzten Bernhard-Inszenierung Peymanns zu dessen Lebzeiten. Die Verbundenheit des Regisseurs mit Bernhard reichte über dessen Tod hinaus: Noch 2016 bezeichnete sich Peymann in einem Interview mit dem Magazin der Süddeutschen Zeitung am Grab des Dichters als »eine Art Bernhard-Witwe mit den typischen Witwenträumen. […] Wir treffen uns in einem der Wirtshäuser er sitzt da in fröhlicher Runde. Ich sage, mein Gott Bernhard, Sie leben noch? Ja, sagt er, nicht weiter erzählen, ich lebe unter einem anderen Namen. Morgen telefonieren wir und gehen zusammen essen. Schauen Sie nicht so verblüfft, ich habe das Leben einfach nicht mehr ausgehalten. Im Traum weiß ich dann aber, dass er gestorben ist, und ich wache fröhlich auf.«

 

Claus Peymann am Grab Bernhards, 2016
Foto: © Lukas Gansterer

Übersetzungsdatenbank »thomas bernhard in translation« online

In Kooperation mit dem Suhrkamp Verlag und der Forschungsstelle Thomas Bernhard an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist die von ITBG-Vizepräsidentin Nina Selzer initiierte, erste Datenbank sämtlicher veröffentlichter Übersetzungen der Werke Thomas Bernhards online gegangen. thomas bernhard in translation umfasst über 1000 Einträge (davon mehr als 800 Erstpublikationen) in 42 Sprachen (1967-2024) und ermöglicht eine gezielte Recherche nach Titeln, Sprachen und Übersetzer:innen, aber auch einen weltumspannenden Überblick über die von Bernhard beanstandeten »scheußliche[n] Umschläge« (W22.2: 279).

 

 

»Ausstrahlen… weltweit« – Thomas Bernhards einzigartiges internationales Echo

»Wirkung ist letztenendes etwas Furchtbares«, klagt Thomas Bernhard 1973 – ein halbes Jahrhundert später hätte er seinen Augen nicht getraut.

Das von ITBG-Präsidentin Juliane Werner geleitete Projekt »GlobalBernhard« präsentiert 200 literarische Stimmen zu Bernhards Leben und Werk – von Ägypten bis Vietnam, von Anuk Arudpragasam bis Kate Zambreno, von Jahrgang 1912 bis 1995. Die Auseinandersetzung reicht von Anspielungen über Auftritte von Bernhard-Figuren bis zur vollendeten Stilimitation. Porträts zu Lyrik, Prosa, Dramen und Interviews aus aller Welt spüren Fragen nach wie: Was fasziniert Geistesverwandte von Susan Sontag bis László Krasznahorkai, wer empfiehlt Bernhard für den Nobelpreis, wer verflucht ihn als regelrechtes Unglück für das eigene Schreiben? Wie klingt der Bernhard-Sound in Horrorgeschichten und Krisengedichten? Und wo lebt der ›Balkan-Bernhard‹? In welchem Roman wird jedes Mal getrunken, wenn das Wort »Kegel« fällt? Und nicht zuletzt: Welche Perspektiven auf Bernhards Werk öffnen sich durch die Augen jüngerer Autor:innen wie Pola Oloixarac, Patrick Cottrell oder Emily Hall?

»Mit 200 Antworten von oft sehr bekannten internationalen Stimmen hätten wir selbst bei einem stilprägenden Schriftsteller wie Bernhard nicht gerechnet«, so Juliane Werner, Leiterin des Projekts an der Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaften der Universität Wien, wo auch Studierende an der Website mitarbeiten: »Wir wollen dieses weltweit einzigartige Echo eines deutschsprachigen Autors dokumentieren und für die Öffentlichkeit sichtbar machen – ein Ende scheint mit Blick auf die vielen Neuerscheinungen lang nicht in Sicht.«

»Alte Meister« Eröffnungslesung & -konzert auf Ö1

Die Eröffnungsveranstaltung der 33. »Resonanzen« des Wiener Konzerthauses (unter dem Motto »Alte Meister«) vom 18. Jänner 2025 ist in gekürzter Fassung auf Ö1 nachzuhören. Sylvie Rohrer und Martin Schwab lesen aus Bernhards Alte Meister, begleitet von Paolo Pandolfo an der Viola da gamba. Mit Werken von u.a. Johann Sebastian Bach, Anton Bruckner und Georg Friedrich Händel.

Gestaltung der Sendung: Michael Köppel

 

Eröffnung der Forschungsstelle Thomas Bernhard, ÖAW

Seit 2023 beherbergt die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) Materialien zu Leben, Werk und Wirkung von Thomas Bernhard. Eine neue Forschungsstelle am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage (ACDH-CH) der ÖAW wird diese Bestände digital aufbereiten und über die Forschungsplattform Thomas Bernhard online zugänglich machen. Bernhards Privatbibliothek, Übersetzungen seiner Werke und Rezensionen zu Theateraufführungen sollen dabei ebenso erschlossen werden wie eine Plakatsammlung und audiovisuelle Dokumente. Auf diese Weise entsteht die Grundlage für eine technologisch gestützte, quellenbasierte literatur- und kulturwissenschaftliche Forschung zu Thomas Bernhard im österreichischen und internationalen Kontext.

Im Rahmen der feierlichen Eröffnung der Forschungsstelle Thomas Bernhard am 22. Jänner 2025 erwarten Sie neben einer Einführung in die zukünftigen Aufgaben eine Lesung der Burgschauspielerin Mavie Hörbiger und ein Festvortrag von Norbert Christian Wolf, dem Leiter der Forschungsstelle. Um Anmeldung wird gebeten bis spätestens 12. Jänner 2025.

ITBG-Vorstand bis 2028 neu bestellt

Auf der Generalversammlung der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft am 27. Juli 2024 – ein Jahr, in dem die ITBG ihr 25-jähriges Bestehen feiert – wurde der Vorstand bis 2028 neu bestellt.

Auf Vorschlag des Präsidiums nominiert, wurden einstimmig die Komparatistin und Kulturwissenschaftlerin Dr. Juliane Werner als Präsidentin sowie die Lektoratsredakteurin Nina Selzer MA als stv. Präsidentin gewählt. Werner und Selzer seien, so der bisherige Präsident David Schalko in seiner Abschiedsstellungnahme, „die Motoren dieses Vorstandes. Sie bemühen sich um die Projekte, welche die ITBG sichtbar und lebendig machen. Ihre Kompetenz und Begeisterung in Bezug auf Bernhards Biografie und Literatur sind unbestritten. Sie sind es, die – wie man so schön sagt: das Werkl’ am Laufen halten“ und schloss: „Die ITBG könnte sich niemand Besseren wünschen“.

Für das Generalsekretariat konnten zwei internationale Vertreterinnen der Literaturbranche gewonnen werden, die Philosophin und Schriftstellerin Dr. Julia Trompeter, deren Debütroman Die Mittlerin (2014) vom ersten Satz an von der literarischen Auseinandersetzung mit Bernhard geprägt ist, sowie die Übersetzerin Tali Konas MA, die unter anderem Walter Benjamin, Paul Celan, Ingeborg Bachmann und nicht zuletzt Thomas Bernhard ins Hebräische übersetzt hat.

Die Posten des Kassiers und stv. Kassiers bleiben in den Händen der langjährigen ITBG-Vorstandsmitglieder Mag. Jérôme Demel und Reinhard Pabst.

Historisch-kritische Edition von »Heldenplatz« veröffentlicht

Auf die Veröffentlichung der historisch-kritischen digitalen Edition von Bernhards 1982 erschienener Erzählung Wittgensteins Neffe Ende 2021 durch die ÖAW folgt 2024 die erste historisch-kritische Edition von Bernhards ›Skandalstück Heldenplatz.

Textgrundlage ist die in der Bibliothek Suhrkamp erschienene Erstausgabe in erster Auflage (1988), welche die letzte von Bernhard korrigierte und autorisierte Version darstellt.

Der annotierte Volltext wird durch einen Stellenkommentar und mehrere Register zu Ereignissen, Institutionen, Orten, Personen, Figuren sowie Werken und Medien ergänzt. Darüber hinaus enthält die Edition einen textgenetischen Teil. Die im Nachlass befindlichen Textträger, darunter zwei von Thomas Bernhard handschriftlich korrigierte Typoskriptfassungen, zwei maschinschriftliche Fragmente und vier Druckfahnen mit Korrekturen, sowie ein Umbruch, werden als Digitalisate mit den entsprechenden Transkriptionen der von Bernhard in allen Textstufen vorgenommenen Korrekturen und Eingriffen wiedergegeben und ermöglichen die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte.

Der Text der Erstausgabe und alle Textzeugen sind auch als Volltexte durchsuchbar.

Bernhard-Texte über das Theater auf Ö1

»Ein Kind ist immer ein Schauspieldirektor, und ich bin schon sehr früh ein Schauspieldirektor gewesen. Zuerst habe ich hundertprozentig eine Tragödie aufgeführt und dann eine Komödie und dann wieder eine Tragödie, und dann vermischte sich das Theater, es ist nicht mehr erkennbar, ob es eine Tragödie oder eine Komödie ist. Das verwirrt die Zuschauer. Sie haben mir applaudiert, jetzt bereuen sie es. Sie haben geschwiegen und mich verächtlich gemacht, jetzt bereuen sie es. Wir sind uns immer voraus und wissen nicht, sollen wir applaudieren oder nicht.« (Der Keller)

Im Rahmen der Ö1-Reihe »Du holde Kunst« vom 30. Juni 2024 las die Bernhard-erfahrene Burgschauspielerin Maria Happel Texte von Thomas Bernhard über das Theater, begleitet von Kompositionen Bachs, Beethovens, Mozarts, Schuberts, Haydns und Strauss’.

Online abrufbar in der ORF-Mediathek

Tagungs-Impressionen aus dem Allgäu

Von 9. bis 11. Mai 2024 richtete die ITBG gemeinsam mit der Deutschen Sebald Gesellschaft die Tagung »Natur, Verantwortung, Zerstörung« Facetten des Nature Writing bei Thomas Bernhard und W.G. Sebald (Pressenotiz) in Sonthofen im Allgäu anlässlich von W.G. Sebalds 80. Geburtstag aus. Die ›ITBG-Delegation‹ bestand aus Büroleitung Clemens Braun und Generalsekretärin Juliane Werner, die gemeinsam mit Claudia Öhlschläger (Universität Paderborn/Deutsche Sebald Gesellschaft) und Kay Wolfinger (LMU München/Deutsche Sebald Gesellschaft) für die Konzeption der Tagung verantwortlich zeichnete.

[Alle Bilder c/o Deutsche Sebald Gesellschaft / Rudolf Schnellbach]

Rahmenprogramm war eine Vernissage mit Bildern des Malers Jan Peter Tripp sowie eine Lesung Christoph Ransmayrs, der im Zuge eines anschließenden Gesprächs auch sein Verhältnis zu Thomas Bernhard kommentierte.

Jan Peter Tripp (links) im Gespräch mit Kay Wolfinger (LMU München/Deutsche Sebald Gesellschaft)

Ricardo Felberbaum (links, Deutsche Sebald Gesellschaft) im Gespräch mit Christoph Ransmayr

»Thomas Bernhards ungeschminktes Österreich« (ARTE)

Zu Wort kommen in diesem Dokumentationsbeitrag aus der Sendung Stadt Land Kunst (Regie: Fabrice Michelin / ARTE, 12. März 2024) Peter Fabjan, Martin Huber und Manfred Mittermayer, gedreht wurde in Salzburg, Gmunden und Wien.

»Thomas Bernhard verband eine tiefe Hassliebe mit seiner Heimat Österreich, wo er bis zu seinem Tod 1989 lebte. Viele seiner Texte sind gallig-bissige Abrechnungen mit einem Land, das Mozart, Stefan Zweig, aber auch Adolf Hitler hervorbrachte, seine eigene Geschichte leugnet und sich mit einer Mauer aus Lügen umgibt, die der Schriftsteller mit scharfen Worten einzureißen sucht.«

Online abrufbar in der ARTE Mediathek