Offener Brief von Claus Peymann, erschienen auf der Webseite des „Theaters in der Josefstadt“

Berlin, 12. Mai 2020

 

Lieber Herbert Föttinger –sehr geehrter Herr Kollege Direktor!

Wir Theaterverrückten dieser Welt müssen heute, mehr denn je, zusammenhalten und uns gegenseitig Mut machen! Deshalb bin ich Ihnen dankbar, daß Sie unbeirrt an Ihrer Idee festgehalten haben, mich als Regisseur für Thomas Bernhards Dramolette DER DEUTSCHE MITTAGSTISCH an Ihr schönes Haus einzuladen – umso mehr, da diese Inszenierung nun die kommende Saison eröffnen soll, die wahrlich zu einer schicksalhaften werden könnte…Ich freue mich auf die Wieder-Begegnung mit dem großen Thomas Bernhard, die erste Begegnung mit Ihrem Schauspiel-ensemble, den Theaterzauberer Achim Freyer als Bühnenbildner, die Kostümbildnerin Margit Koppendorfer und auf Jutta Ferbers (zuletzt Chefdramaturgin am BE). Bernhards Dramolette mit dem Titel DEUTSCHER MITTAGSTISCH passen in die Zeit wie Qualtingers HERR KARL! Zum Lachen komisch und doch zum Weinen…Die Nazis marschieren wieder auf und haben es in Österreich schon fast auf die Regierungsbank geschafft – nicht anders in meiner Heimat, nicht anders bei unseren Nachbarn. Selbst in Corona-Zeiten schrecken sie nicht davor zurück, zu zündeln und zu schüren… auch das eine Art „Virus“, gegen den die Menschen noch immer nicht immun – und dessen Folgen fürchterlich sind.Unter den sieben Dramoletten ist eines, das als österreichische Erstaufführung gezeigt wird: In „Alles oder nichts“ durchschaut Bernhard, wie skrupellos Politiker Alles oder Nichts tun, um an die Macht zu kommen – oder um jeden Preis dort zu bleiben. (Beispiel: der „Corona-Wettlauf“ um die Nachfolge von Angela Merkel zwischen den Ministerpräsidenten von Bayern und Nordrhein-Westfalen. Beide wollen ja so gerne Kanzler werden!)Und: Können wirklich Gesundheitsbehörden und Kulturfunktionäre vorschreiben, wie wir im Theater probieren und spielen? Oder gar der Kanzler persönlich? Weil er ja so viel Erfahrung hat, aus seinem Theater am Ballhausplatz?Wie sagte kürzlich unser Kollege und Freund Frank Castorf:“Ich möchte mir von Frau Merkel nicht sagen lassen, dass ich mir die Händewaschen muss.“

Schon viel zu lang haben wir erleben müssen, wie die Kultur in den Debatten von Baumärkten, Gartencentern und Quadrat-meterzahlen verdrängt wird. Es wird höchste Zeit, dass wir uns zu unserer Verantwortung bekennen (dürfen). Und wir haben Masken, Ideen, Erfahrung – und Phantasie.Wir müssen wieder gemeinsam mit unseren Zuschauern träumen, weinen, nachdenken, lachen, staunen – und arbeiten dürfen. Deshalb gefällt und imponiert mir Ihre Unerschrockenheit –ja, sie tut gut. Also: Nicht den Mut verlieren! Ich bin an Ihrer Seite!Ohne Kunst, ohne Musik, ohne Theater wird die Welt zur Wüste, wo die Seelen der Menschen verdorren. Die Wochen und Monate ohne Theater kommen mir mit meinen 82 Jahren, wo man dankbar ist für jeden Tag, an dem man morgens gesund aufwacht, wie eine Ewigkeit vor…Unser Kollege, der Intendant der Komischen Oper (und fabelhafte Regisseur), Barrie Kosky hat es erkannt: „Das Theater schläft.“ Das heißt aber: es lebt!Jetzt gilt es höllisch aufzupassen, daß aus dem Schlaf kein böser Traum geboren wird. Vielmehr müssen wir das Theater liebevoll, aber leidenschaftlich, wachküssen. Bis bald in Ihrem herrlichen „Theater in der Josefstadt“ –bleiben Sie gesund (und kampfeslustig)!

 

Ihr Claus Peymann

1 Antwort
  1. Jürgen Ludwig sagt:

    Ich schätze Herrn Peymann als Regisseur, vor allem seine großartigen Thomas Bernhard Inszenierungen. Mehr als fragwürdig, zudem arrogant und inkompetent so manche seiner Aussagen zu Politik und Zeitgeschehen. Was soll die daemliche Bemerkung eines Frank Castorf, mit der er sich offensichtlich zu identifizieren scheint. Lächerlich und peinlich. Ein intellektuelles Armutszeugnis.

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