Minetti (1976)

Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre schrieb Bernhard in unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft jeweils paarweise aufeinander bezogene Texte, die sich als gegensätzliche Behandlungen ein und derselben Thematik verstehen lassen – als wollte er die Zwiegesichtigkeit der Realität zwischen Ernst und Lächerlichkeit illustrieren. Minetti und Die Berühmten, die beide 1976 uraufgeführt wurden, handeln jeweils von darstellenden Künstlern (vor allem von Schauspielern und Sängern): Im Fall von Minetti ist dies ein einsamer alter Schauspieler, der vergeblich nach Oostende gekommen ist, um dort mit dem Schauspieldirektor von Flensburg sein Comeback als Lear, in jener Rolle, die ihn einst berühmt gemacht hat, zu fixieren. Als der sehnlich erwartete Intendant nicht erscheint, begeht der gescheiterte Theaterkünstler in der eiskalten Silvesternacht Selbstmord.

Die verschiedenen Bezugsebenen sind so geschickt ineinander verstrickt, dass oft nicht mehr unterschieden werden kann, was biographische Anspielung, poetologische Reflexion, intertextuelle Bezugnahme oder Autorenwort ist.  Thomas Bernhard widmet dem Schauspieler Minetti ein Stück, das nach diesem benannt ist und in dem dieser sich selbst spielt. Trotzdem ertönt ein typisch Bernhard’scher Monolog, der wiederum als das Shakespeare-Palimpsest des King Lear zu erkennen ist, durch das Minetti versucht, seine Identität zu begründen. Zudem bildet die Struktur einer realen Biographie den Hintergrund für dieses Stück : das Leben des Schauspielers Werner Krauß.

M.M., U.B.