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Transkription der Postkarte vom  16.07.1962

16.7.1962, Metz, Moselle

(Datum und Ort laut Poststempel)

Mon  Peter,

ich bin seit 1 Woche in

Frankreich – es ist, alle

Begriffe zusammen, ein

großes Land!!! Du musst es,

wenn Du in Bruxelles bist,

sehen. Ich komme in

c 14 Tagen über Sa[lzburg]. nach

Vienne zurück. Da sehe ich Dich

sicher. NACH U. IN GHANA habe ich

alle Türen offen. Thomas!

Fam.

Peter

 FABJAN

KRANKENHAUS

SCHWARZACH i. Pongau

LAND SALZBURG

Autriche



 

Die Anschrift der Ansichtskarte (»Fam.[ulanten]« Peter Fabjan in Schwarzach i. Pongau) ist inzwischen berühmt, und die gängigen Suchmaschinen verzeichnen schnell die entsprechenden Einträge: Im Krankenhaus von Schwarzach durchlief der Mediziner P. F., der 1958 sein Studium in Wien begonnen hatte, mehrmalige Famulaturen, wurde vom Schriftsteller Th. B. häufig besucht – in Frost erhält ein Famulant in Schwarzach den Auftrag seines vorgesetzten Chirurgen, seinen Bruder, den Maler Strauch, auszuhorchen und in Protokoll-Briefen davon zu berichten.

Absendeort und -datum der Karte lassen sich leicht in die Biographie Thomas Bernhards einordnen: Der Poststempel ist zu lesen als: Metz/Gare, Moselle, 16. Juli 1962: An diesem Tag begannen im nur knapp zwei Stunden Eisenbahnfahrt entfernten Monsdorf-les-Bains, Luxemburg, die »Dichtertage«, Thema: »Der Lyriker und die Gesellschaft« (sie dauerten bis zum 20. Juli 1962), Bernhard hatte sein Eintreffen in Mondorf mit der Bahn in einem Brief an die Veranstalterin Anise Koltz angekündigt. Die Einladung ging zurück auf eine Anfrage der Luxemburger Dichterin an den damals nur mit Gedichten hervorgetretenen Österreicher aus dem Jahr 1960, ob er einiges aus seiner neuesten Lyrikproduktion beisteuern möge zur nächsten geplanten Ausgabe der Jeune Poésie Européenne, worauf Bernhard sich einließ, die Zeitschrift jedoch zuvor eingestellt wurde.

Die Bernhard-Forschung behauptet, in Mondorf habe der Freund Wieland Schmied zum wiederholten Male die Abgabe eines Romans angemahnt, da er nur noch bis Ende 1963 im Insel Verlag, Frankfurt am Main, arbeiten werde. Zumindest die Verbundenheit mit dem Ehepaar Jean und Anise Koltz fand Eingang in den 1963 erscheinenden Roman Frost.

Um die Lesezeit dieses Eintrags etwas zu erhöhen, sei darauf hingewiesen, dass Bernhard im selben Jahr in Mondorf dem damaligen Angestellten im Italienischen Generalkonsul in Frankfurt am Main als Lyriker begegnete: Gianni Selvani (dem Italiener in der entsprechenden Filmerzählung).

Mit wem Bernhard eine Woche durch Frankreich reiste, welche Ziele er ansteuerte, ob er die Bahn oder ein Auto benutzte, ob in Begleitung der beiden Frankfurter Freunde oder allein oder mit jemand Dritten, wie er zurück nach Wien reiste (ein Brief von Anise Koltz spricht von Frankfurt und Stuttgart) – auf diese Frage gibt die Bernhard-Forschung keine Antwort.

Auch die Absicht, die Bernhard mit seinem Aufenthalt in Ghana verband, warum er auf diese Idee verfiel, aus welchen Gründen der Plan, mit dem sich laut der Karte große Hoffnungen verbanden (noch am 12.Oktober 1962 schrieb er Anise Koltz, er warte auf seine »Einberufung« nach Afrika), wann scheiterte, ist nicht bekannt (aber die Bernhard-Forschung steckt ja noch in den Kinderschuhen).

Mit Bestimmtheit lässt sich konstatieren, dass Peter Fabjan 1962/63 an der Université Libre de Bruxelles zwei Semester Medizin studierte –und den Standort zu ausgedehnten Reisen in das »große Land !!!« nutzte, nach Paris, Versailles, Chartres etc.

RF

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