Meine eigene Einsamkeit
Mein Haus ist mein Hof, den ich mir vor einem Jahr gekauft habe, der fruchtlosen Irritationen überdrüssig, mein Hof, von dem ich glaube, dass er mich nicht umbringen, sondern züchtigen für die Zukunft, auf mein Ziel konzentrieren und so wenig als möglich konfus machen wird. Das Objekt ist, jahrhundertealt, vor dem Höllengebirge gelegen, in einer Gegend, die ich, der Herkunft und Vorliebe nach, schon immer als meine engere Heimat betrachtet habe. In der Zeit zwischen Jänner und Oktober ist er von mir nicht nur bewohnbar gemacht, sondern auch mit dem besten Komfort ausgestattet worden. Es ist ein für die Gemeinde Ohlsdorf typischer Vierkantenhof, präzisiert: Obernathal Nummer zwei, dreißigmaldreißig Meter, aus Stein gedeckt, mit größeren und mit kleineren Stallungen für das Rindvieh, die Schweine und das Geflügel, mit Stadel und Scheune, Selchkammer unter dem Dach und drei Mostkellern unter der Erde. Der Wohntrakt ist zweistöckig und das Untergeschoß von den schönsten Gewölben zusammengehalten, die ich jemals in einem Bauernanwesen gesehen habe. Acht, neun gänzlich trockene Zimmer, Küche und Bad angeschlossen an die Ortswasserleitung, sämtliche im Lauf der Zeit von mir mit der nötigen Mobiliar- und Gerätschaft auszustatten, ein gutes Mittel gegen die geistige Schwindsucht.
Im Sommer ist es da angenehm kühl und im Winter geschieht die Beheizung durch Ziegel- und Kachelöfen. Die Wände sind weiß, die Türen grün, die Böden aus Lärchenbrettern. Allein mit den weißen Wänden, den grünen Türen, den Lärchenbrettern, gelingt es mir jetzt, mich auf die beste Weise zu konzentrieren. Ich mache mir, nach und nach einer Spekulation nach der anderen folgend, die fürchterliche Landeinsamkeit gefügig. Im Umgang mit meinen Gedanken erhalte und erzeuge ich mir die Unruhe, die ich brauche; meine Genossenschaft sind die wirklichen und die erfundenen Bibliotheken von Tausenden und Hunderttausend und von Millionen erfundenen und wirklichen, geschriebenen und ungeschriebenen Büchern. Abwechselnd gehe ich in der Welt der Schweine und Kühe und in der Welt der Philosophien und Kakophonien hin und her. Ich höre, was ich noch nicht gehört habe, ich sehe, was ich noch nicht gesehen habe, ich denke, was ich noch nie gedacht habe, ich fühle, was ich noch nie gefühlt habe. Die Welt wie sie ist und erscheint, zu zergliedern, damit fülle ich meine Einsamkeit aus, eine, meine eigene von den Milliarden Einsamkeiten, damit fülle ich meinen Hof aus, meinen Kerker, meinen Vierkantarbeitskerker, mit immer neuen Erfindungen, Entdeckungen, Verbrechen, Harmonien von Harmonien, immer neuen Kontakten, Kontrakten.
Mein Hof verbirgt, was ich tue. Ich habe ihn zugemauert, ich habe mich eingemauert. Mit Recht. Mein Hof schützt mich. Ist er mir unerträglich, laufe ich, fahre ich weg, denn die Welt steht mir offen.
Ist es auch kein Vergnügen, in einem solchen sträflich perversen Staat zu leben, wie in dem meinigen, in dem österreichischen, in dem ich jetzt wieder zurück bin, so ist es doch ein Vergnügen in dem österreichischen Land zu leben, vornehmlich auf dem Land, auf dem schönen, in dem sich das heutige Fürchten auszahlt und wohin der Staat in seiner jetzigen abscheulichsten Form sich nur selten die teuflischsten Zungen auszustrecken getraut.
(Die Presse, 24. Dezember 1965)