Watten. Ein Nachlaß (1969)
Die Erzählung weist die für Bernhards Texte fortan typische Form eines (meist) absatzlosen Monologs auf, in dem die bereits geschilderten musikanalogen Prinzipien – Wiederholung einzelner Wörter und Wortgruppen, die immer wieder von neuem variiert werden – vorherrschen. Titelgebend ist ein hauptsächlich in Österreich, Südtirol, Bayern und der Schweiz praktiziertes Kartenspiel, an dem sich allerdings der Ich-Erzähler, ein Arzt, dem man wegen des Verdachts des Morphiummißbrauchs seine Praxis gesperrt hat, nicht mehr beteiligen will. Aus dem Verkauf der Liegenschaft Ölling zu einem größeren Geldbetrag gekommen, schenkt er diesen dem Mathematiker und Juristen Undt, der sich der Situation gerade entlassener Strafhäftlinge annimmt. Und er kommt dessen Aufforderung nach, ihm eine „Selbstbeschreibung“ zu liefern, die den Rest der Erzählung ausmacht.
Zentrale Binnengeschichte ist der Selbstmord des Papiermachers Siller, der in mehrfacher Brechung geschildert wird (durch den Fuhrmann, der den Arzt zum Watten drängt und den Reisenden, der Siller an einem Baum hängend an der Schottergrube gefunden hat). Siller hat im Wald die Orientierung verloren und sich umgebracht; wiederholt ist der Wald bei Bernhard ein Raum, in dem Menschen die Kontrolle über ihre Existenz verlieren, was tödliche Konsequenzen haben kann (z. B. in der Erzählung Attaché an der französischen Botschaft). Dieser Vorfall ist zumindest ein Grund, wieso nun auch der Arzt „nicht mehr watten gehen“ will, eine Wendung, die in ihrer leitmotivischen Wiederholung geradezu zur Chiffre für das Existieren schlechthin wird.
Obwohl Watten nicht zur Gruppe der autobiographischen Erzählungen im engeren Sinn gehört und auch geographisch nicht exakt verortet wird, finden sich doch Bauwerke, signifikante Natur- und Kulturräume aus der näheren Umgebung von Bernhards Obernathaler Vierkanthof, die zusammen mit fiktionalen Elementen in den Kontext der Erzählung eingefügt werden, etwa die Papierfabrik, die Schottergrube oder die Traun.
M.H., M.M.