Ungenach (1968)
In der Erzählung, die aus dem Umfeld der Arbeit an dem Roman Verstörung stammt, ist ein bei Bernhard wiederkehrendes Motiv gestaltet: der Versuch, sich von einer belastenden familiären Vergangenheit loszulösen. Robert Zoiss, aus dessen Perspektive wir das Geschehen erfahren, will den Familienbesitz Ungenach samt der damit zusammenhängenden Geschichte „abschenken“ – sein Halbbruder Karl ist in Afrika ermordet worden, sein Vormund gestorben, die Eltern sind ebenfalls bereits tot. Wie Amras besteht auch dieser Text aus fragmentarischen Dokumenten, dazwischen stehen jeweils Passagen aus einem Monolog des Familienanwalts Moro, der seinerseits hauptsächlich Aussprüche des Vormunds zitiert. Darin wird eine historische Entwicklung dargestellt, die dem Menschen völlig entglitten sei, in der die Natur die Herrschaft übernommen habe.
Der überlebende Bruder (die Vornamen erinnern an die Brüder Robert und Karl Walser) ist Naturwissenschaftler. Er hat sich aus Österreich nach Stanford geflüchtet und lehrt dort Chemie, ist also ein frühes Beispiel für die aus ihrer Heimat vertriebenen Genies bei Bernhard. Erstmals tritt eine (Stief-)Mutter als Verkörperung der absoluten Zerstörung auf; sie wird für die Vernichtung der Cousine Sophie verantwortlich gemacht. Diese wiederum weist auf die kunstsinnig-sensiblen ›positiven‹ Frauengestalten späterer Texte voraus, auf die Schwester in Korrektur oder die Perserin in Ja.
M.M.