Der Schein trügt (1983, Uraufführung 1984)

Nach den paarweise angeordneten Stücken über die Theaterkünstler (Die BerühmtenMinetti), die Philosophen (Immanuel KantDer Weltverbesserer) und die Schriftsteller (Am ZielÜber allen Gipfeln ist Ruh) variiert Bernhard seine Strategie, zwei unterschiedliche Lebensformen einander gegenüberzustellen, in dem Zweipersonenstück Der Schein trügt innerhalb eines einzigen Textes. Wie in einer Reihe seiner bekanntesten Prosabücher (z.B. AmrasUngenach, aber auch Auslöschung) lässt der Autor dabei zwei (Halb-)Brüder aufeinander treffen: einen Jongleur und einen Schauspieler (namens Karl und Robert – wie die Protagonisten von Ungenach, und wie die Brüder Karl und Robert Walser).

Der durchsetzungsfähige Artist und der anlehnungsbedürftige Bühnenkünstler repräsentieren zugleich zwei unterschiedliche Weisen der Existenzbewältigung. An ihnen behandelt der Autor aber auch ein wichtiges Thema seiner späteren Texte (vgl. Alte Meister): den Verlust eines geliebten Menschen. Dass Karls Lebensgefährtin Mathilde nicht ihm, sondern ausgerechnet Robert ihr Wochenendhaus hinterlassen hat, ist ein Schock, der ihn seither schmerzlich „irritiert“ (das letzte Wort des Textes).

M.M.