Ritter, Dene, Voss (1985, Uraufführung 1986)

Das nach Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss, den Hauptdarstellern der Uraufführung (einer Koproduktion der Salzburger Festspiele mit dem Burgtheater Wien), benannte Stück hat eine ähnliche Figurenkonstellation wie Vor dem Ruhestand: Zwei Schwestern und ihr Bruder leben in enger psychischer und existenzieller Verklammerung zusammen – wieder weist eine inzestuöse Beziehung auf die Unfähigkeit, den engen familiären Raum in Richtung auf die Gesellschaft hin zu verlassen, und wieder balanciert das Figurengefüge zwischen der mühevollen Beherrschung seines Lebensmechanismus und dessen jederzeit drohendem Zusammenbruch.

Doch mit diesem Stück eröffnet Bernhard eine kleine Werkgruppe, die im Milieu des Wiener Großbürgertums angesiedelt ist, in der „besseren Gesellschaft“, deren Marotten und Eigenheiten er mit einer besonderen Mischung aus Faszination und Abscheu beobachtet hat. Und die Unterschiede zwischen den beiden Texten belegen, wie variantenreich der Autor mit seinen scheinbar so reduzierten strukturellen Mitteln zu arbeiten verstand: Anders als Rudolf Höller versucht Ludwig Worringer, Bernhards neuer Protagonist, die Stabilisierung seiner Existenz nicht durch die Hinwendung zu einem autoritären politischen System, sondern mithilfe des Ausstiegs aus der Gesellschaft – er zieht sich in die „Narrenfreiheit“ des Irrenhauses zurück, um dort die auch von anderen Figuren Bernhards erträumte Macht des Geistes („ich überwinde alles nur / mit Denken“) freizusetzen. Damit wird Bernhards letzter „Philosoph“ auf der Theaterbühne (dessen künstliche Physiognomie u. a. aus Elementen aus den Lebensläufen von Ludwig Wittgenstein und seinem mit dem Autor befreundetem „Neffen“ Paul zusammengesetzt ist) zu einer traurigen Parodie auf die erstrebte Lebensform als Geistesmensch.

M.M.