Posteingang 2/5

Das Datum auf der neuen Karte im Posteingang, der 18. September 1961, bringt, dem Zufälligen mehr geschuldet als der systematischen Suche, eine vielleicht nicht völlig überflüssige Anregung zu möglichen biographischen Annäherungen an Thomas Bernhard:

Wenn in nicht allzu ferner Zukunft eine Tag für Tag fortschreitende »Chronik von Leben und Werk« (z. B. für Rainer Maria Rilke und Bertolt Brecht gibt es das schon) erstellt werden sollte, wird leicht entscheidbar sein, ob Bernhard an einem (aus welchen Gründen auch immer ausgesuchten) Tag seine Post in einem Schwung erledigte oder ob er seinen Korrespondenz»pflichten« nach Bedarf und Laune nachkam – außer Betracht bleibt die generelle Beobachtung seiner ersten Lektorin im Insel Verlag, Anneliese Botonds, 1922 – 2006 (in ihren Briefen an ihn), solche Tätigkeit zähle nicht zu seinen »Lieblingsbeschäftigungen«. Für die erste Vermutung spricht die Tatsache, dass er am am 18. September 1961 ebenso wie am 13. April 1961 (siehe Posteingang 1) jeweils zwei Mitteilungen absandte: an Peter Fabjan und an Gerhard Fritsch.

Am 13. April 1961 (Posteingang 1) schrieb Bernhard nicht nur die bekannte Postkarte bekannten Inhalts an den Medizinstudenten Peter Fabjan, sondern auch an den (frühen) Freund und Förderer Gerhard Fritsch, der, sieben Jahre älter als sein »Schützling«, seit 1959 die für das Reüssieren in österreichischen Landen unabdingbare Monatszeitschrift »Wort in der Zeit« herausgab. In einem Nachtrag zu diesem Brief heißt es:

 

»Lovran / Hotel Miramar Jugoslavija

ich will noch ungefähr 3 Wochen bleiben – die Möglichkeit hier ausnützen.

Besteht die Aussicht, durch meine Sachen zu Geld zu kommen? –

Sei nicht bös über diesen Hilferuf, aber das ist für mich doch sehr wichtig! Was machst Du? Arbeitest? Ich schreib natürlich etwas u. helfe den Leuten im Hotel, womit ich mir den Aufenthalt verdiene.

Bade täglich, Sonne, oder[?], nirgends ist es so wie da – für mich wenigstens, ich bin schon 2 Wochen hier. Oft liege ich 6/7 Stunden auf einem Schiff i. d. Sonne u. springe ins Wasser – gestern Pola, usf. mit Josip auf Cres (Insel) hinüber, Fische fangen […].«

[Anmerkung für die Noch-nicht-Insider: Dem erwähnten Josip waren in einer Vorfassung die »Neun Psalmen« im 1957 gedruckten Gedichtband »Auf der Erde und in der Hölle« gewidmet.]

 

Von Bonn aus, am 18. September 1961, dem Tag, an dem ein aufgeräumter Bernhard dem »Lieben Peter« die Reisestationen aufzählt, schreibt er gleichfalls einen regelrechten Entschuldigungsbrief (ein von ihm eher selten verwendetes Genre) an den »Lieben Gerhard«:

 

»Zuerst muß ich Dir sagen, daß ich Dich immer gern habe und immer gern gehabt habe und Dich weiterhin gern haben werde, besonders, recht gern!

Ich habe immer gehofft, Du würdest mich einmal angerufen, nachdem immer ich Dich angerufen habe! das hätte mich natürlich besonders gefreut!

Du bist verstimmt und ich versuche, diese Verstimmung wegzuwischen: mit Dr. Moissl hat folgendes »Gespräch« stattgefunden:

Dr. M.: ah, da hab ich Ihre Gedichte im W.i.d.Zt. [»Wort in der Zeit«] gelesen!

ich:   aso!?

Dr. M.: die haben mir gut gefallen!

ich:   zu blöd … (ärgerliches Gesicht, weil mir die Sachen damals im Moment, und auch jetzt noch immer, nicht gefallen haben)

Dr. M.: die hat doch der Gerhard Fritsch ausgewählt?

ich:   ja, zu blöd, nicht gut ausgewählt, zu blöd, ich hab mich recht geärgert!

Dr. M.: geht auf ein andres Thema über …

Nun, so beinah im Wortlaut, wars! Da ich kein Funzerl Bösartigkeit in dem, was ich gesagt habe, wahrgenommen habe, und ich weiß, daß ich Dich und den Dr. Moissl und der Dr. Moissl Dich und mich gern hat, und beide kennt, gut kennt, hab ich mir bei der Sache nichts gedenkt! hätt ichs bösartig oder ganz ernst gemeint, hätt ichs ihm nicht gesagt, das ist klar. Nun? Du solltest mich kennen, wie mir vor meinen Sachen immer wieder graust, das sagt aber gar nicht, daß ich gar nichts mehr von ihnen halte, nein, sie sind mir einfach zeitweilig vergraust und ich geb das von mir: für die, die mich, wie ich glaube (auch bei Dir!) verstehen; ungefähr sehen, wie ich bin, wo ich dahinschwimme, wie ich mich herumschlage, was für ein Trottel ich bin … […] Nun? Wenn ich gesagt hab: blöd! so hat sich das im Moment restlos auf mich, auch auf Dich, aber schließlich auf keinen von uns beiden bezogen! Gott ja, bitte versteh mich Trottel! u. verzeih, daß ich den lieben Dr. Moissl, der mir immer ein Kumpan schien, !, einbezogen habe!

[…]

P.S. IV. Aus diesem Wirrwarr sollst Du mich heraussehen –«

 

Während die Bezüge im Brief an Fritsch leicht aufzuklären sind – »Wort in der Zeit« brachte in Heft 7, 1961, S. 20-22, die Gedichte »Großmächtiger Tabernakel des Windes«; »An W. H.«; »Roßhändler, Bauern, Grenadiere«; »Schützt mich«; »Zerfressener April« – läßt sich nicht zweifelsfrei klären, warum er in Bonn Station machte. Zu diesem Zeitpunkt wohnten dort gleich zwei seiner Freunde: das Ehepaar Alexander (1909 – 1999) und Elisabeth Üxküll (1921 – 2016) arbeitete zwischen 1960 und 1962 in Bonn sowie der Komponist und Chefdirigent an den Städtischen Bühnen Bonn Peter Ronnefeld (1935-1965). Die intensive Bekanntschaft mit Familie Üxküll setzte in Salzburg ein, Bernhard hielt sich auch seit deren Umzug nach Brüssel 1963 in ihrer Wohnung auf (hier will er den Roman »Verstörung« beendet haben), die mit Ronnefeld datiert von Mitte der Fünfzigerjahre (für ihn schrieb er ein Libretto »Sankt Marx«).

Offenbleiben muss gleichfalls, ob Bernhard allein oder in Begleitung unterwegs war, und wenn er nicht allein reiste: mit wem: die Bonner Freunde, Hedwig Stavianicek? Sicher ist: Er stattete auf dem Hinweg in Frankfurt am Main Wieland Schmied einen Besuch ab – der war damals im Insel Verlag angestellt. Auch ob die geplante Fortsetzung stattfand, mit wem und wohin (nach Hamburg? zu wem?), ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht zweifelsfrei zu klären.

RF

 

 

 

 

 

 

Transkription der Postkarte vom 18.09.1961

Bonn 18.Ⅸ.61

Lieber Peter, ich

komme von herrlichen Tagen in

Holland u. Belgien zurück nach

Aachen, Köln, Bonn. Alles ist unbe-

schreiblich schön u. die Menschen

freundlich, wie das Wetter. Viel Erfolg!

In 1 Woche etwa bin ich wieder in

Wien, zuerst gehts noch einmal nach

Norden, ich hoffe, du bist wohlauf,

Thomas!

Österreich

Peter FABJAN

Studentenheim

Wien Ⅸ

Porzellangasse

 

3 Antworten
  1. E.B. sagt:

    Na, das ist mir heute doch zu voll im neuen Posteingang 2/5 – üppig – und das Scrollen mag ich nicht,
    da ist mir Blättern in Druckwerken doch lieber. Man könnte glatt die neue Postkarte ganz unten übersehen.
    Also aus der einen Sendung 2/5 drei Sendungen zu destillieren/segmentieren wäre nicht falsch, man muss sich ja auch noch mit der u.a. Richtigstellung auseinandersetzen usw.
    Bevor wir uns also auf eine „Chronik der Korrespondenz“ freuen werden (ist das ein Geburtstagswunsch?) – wäre ja mit einer genauen Chronik der Publikationen schon gedient – sei den Werktätigen erneut gedankt…
    Herzlich E.B.

    Antworten
  2. Georg Fritsch sagt:

    Gerhard Fritsch (1924-1969) war seit 1.1.1959 freier Schriftsteller und hat mit 1.6.1959 seine Tätigkeit als Redakteur bei ‚Wort in der Zeit‘ begonnen (gegründet 1955 von dem bis zu ihrem Ende – 1966 – als Herausgeber dort wirkenden Rudolf Henz).

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