W. G. Sebald

Thomas Bernhard ist von sehr zentraler Bedeutung für mich gewesen, nicht nur, weil ich seine Bücher sehr gerne gelesen habe und weil ich sie eben nicht zuletzt für wunderbar komödiantische Kabinettstücke gehalten habe – was die literarische Kritik ja jahrelang nicht begriffen hat – , sondern weil mich überhaupt diese Position, die er einnahm, die des großen Satirikers, immer sehr fasziniert hat. Also ich assoziiere mit Bernhard Figuren wie möglicherweise gerade noch Canetti, aber sicher Karl Kraus, Nikolai Gogol, diese großen Fastenprediger. Und das war er wohl: Bernhard war ein Fastenprediger … Ich sehe ihn, immer, wenn ich an ihn denke, irgendwie auf einer Kanzel. Wie er also das Sonntagspublikum sozusagen fix und fertig macht, bis sie also nicht mehr schnaufen können. Und das war seine Rolle, nicht?  Das gibt es ja in der österreichischen Tradition sehr ausgeprägt, diese Dominikanerpredigt im 17. Jahrhundert, die die Zerknirschung des Publikums zum Ziel hat, und dessen war er fähig.

(Im Gespräch mit der ORF-Journalistin Doris Stoisser, 2001)